Der Kalmückischer Kavallerieverband im Dienst der Wehrmacht
Der kalmückische Kavallerieverband im Dienst der Wehrmacht: Motive und Bedingungen der Kollaboration mit den Deutschen im Zweiten Weltkrieg
Mongolisher Notinzen, № 13, 2004
Die Analyse der sozio-politischen Voraussetzungen der Kollaboration mit den deutschen Besatzern in der Sowjetunion zeigte, dass sie unvermeidlich war und deren Basis längst vor dem Krieg vorbereitet wurde. Die ethnische Politik des sowjetischen Staates spielte eine wichtige Rolle dabei. Zu dieser Politik in Kalmückien gehörten die Verfolgung der Religion, die bei vielen Völkern eng mit der ethnischen Identität verbunden war sowie die Russifizierung solch wichtiger Bereiche wie Bildung, Presse, Literatur und die Umstellung des Alphabets zunächst auf die lateinische, dann auf die kyrillische Schrift. All diese Faktoren riefen die Unzufriedenheit der Intelligenz hervor, die den Repressionen zwar entkam, aber sich öffentlich nicht dem "Kulturaufbau" widersetzen konnte. Die Sowjetmacht wurde dabei mit der russischen Nation identifiziert.[1] Die Eliminierung der Intellektuellen und der geistigen Elite, die eine moralische Autorität für die Bevölkerung hätte darstellen können trug auch zu dem Phänomen der Kollaboration in den sowjetischen Republiken bei. Die Unterstützung, die die Sowjetbürger dem Besatzer geleistet haben stellte so gesehen "einen selbständigen, spontanen Protest eines Teils der Gesellschaft gegen die Innenpolitik des sowjetischen Staates" dar.[2] Zu den spezifischen Ursachen der Kollaboration zählte der Umstand, dass viele Menschen im Land selbst Opfer des Roten Terrors während des Bürgerkriegs, der stalinistischen Repressionen und Verfolgungen gewesen sind. Viele sowjetische Kriegsgefangene sind zu den Deutschen übergelaufen um dem Tod in den Lagern zu entkommen.[3] Überlebte man die deutsche Kriegsgefangenschaft galt dies als Verrat, der durch Erschießung vor der Front und mit der Konfiszierung des Eigentums bestraft wurde, da die Kriegsgefangenschaft in Deutschland als schwerwiegendes Kriegsverbrechen angesehen wurde. Laut Befehl des Verteidigungskomitees Nr. 260 vom 17.August 1941 (unterschrieben von Stalin, Budjonnyj, Worošilow und anderen) sollten die erfassten Kriegsgefangenen vor der Front erschossen und deren Familien verhaftet werden.[4] Als Verbrechen galt allein schon die Tatsache, dass man sich in den besetzten Gebieten aufgehalten hat.[5] Der erste russische Wissenschaftler, der sich mit der Geschichte der "bestraften Völker" befasst hat, A.M. Nekrič, unterscheidet folgende Kategorien von Kollaborateuren: · Personen, die zu unterschiedlichen Zeiten durch die Sowjetmacht repressiert wurden, · Kriminelle und Asoziale, · Deserteure und Überläufer, · Personen, die aus politischen Gründen die Sowjetmacht nicht akzeptierten, · einfache Konformisten ohne politische Überzeugungen, die bereit waren jeder Macht zu dienen und · "bloß verwirrte Menschen, die durch die Niederlagen der Roten Armee demoralisiert wurden und nicht mehr an den Sieg glaubten".[6] Die Kalmücken hatten demzufolge mehrere Gründe für Kollaboration. Zu den ideologischen Gründen zählte die Tatsache, dass sie die Sowjetmacht nicht akzeptierten, die ihnen mit Gewalt eine rasche Modernisierung aufzwang: Übergang zu einer sesshaften Lebensweise, Reform des Alphabets, Kampf gegen die Religion etc. Zu den politischen Gründen zählten Repressionen, unter denen viele Kalmücken gelitten haben. Dies betraf v.a. folgende Bevölkerungsschichten: den Klerus, reiche Bauern, den Adel (sog. „Weiße Knochen“ - nojon und zaisang), die Prominenz, die Intelligenzija und die Repatriierten, die in der Zeit des Bürgerkriegs emigriert waren und nach Kriegsende zurückgekehrt sind. Die Verwandten der Repressierten verloren ebenfalls alle Rechte. Zu den psychologischen Gründen zählte der Glaube an die Macht der deutschen Kriegsmaschinerie, die sich ganz Europa unterworfen hat. Hinzu kam der bei den Kalmücken traditionelle Respekt vor der Obrigkeit, der Macht als solcher, ob russisch, deutsch, oder einfach vor einer „neuen Ordnung“. Der letztgenannte Faktor war besonders wichtig, denn die deutsche Besatzungspolitik setzte in den zivilen, kulturellen und wirtschaftlichen Bereichen die Selbstverwaltung voraus. Das schloss mit ein, dass die öffentliche Ausübung der buddhistischen Dienste erlaubt wurde. Dabei spielte auch die situative Motivation eine wichtige Rolle. Das naturgemäße Streben eines Menschen in Gefahr ist der Versuch, das eigene Leben zu retten. Dementsprechend handeln Millionen Menschen in Kriegszeiten. Die Kollaboration war die situative Wahl, verbunden mit einer rationalen Kalkulation zu Gunsten des stärkeren. Vor dem Gericht gestand der Offizier des Kalmückischen Verbandes Konokow 1968:"Ich war überzeugt, dass die Deutschen siegen würden, deswegen desertierte ich".[7] Das von vielen Ländern anerkannte Gesetz zum Schutz der kleinen Völker galt in der Sowjetunion vor allem für die kleinen Völker des Nordens. Laut der Volkszählung von 1939 gab es 123.000 Kalmücken, und somit fielen sie nicht unter die Definition ‚kleines Volk’. Wie auch andere Völker unterlagen sie der kriegsbezogenen Mobilmachung. Zusätzlich wurde die freiwillige Kalmückische Sonderkavalleriedivision (KSK 110) formiert. Bereits ein kleines Gefecht hätte ausgereicht um alle Männer im reproduktiven Alter zu vernichten - die Kalmücken waren sich dieser Tatsache bewusst. Ende 1942, als bereits viele Familien die Gefallenenmeldungen bekamen, wurden in die Kavalleriedivision "alle Reservisten und Militärpflichtigen des Jahrgangs 1925 einberufen"[8]. Die Älteren versuchten ihren Nachwuchs zu retten, u.a. indem sie die Jungen in den Kalmückischen Verband, der an der Seite der Wehrmacht kämpfte, schickten. Wie soll man die Menschen des zweiten Exodus beurteilen? Wenn die zivilen Flüchtlinge zweifelsohne als Kriegsopfer gelten, wie beurteilt man die Menschen, die zu den Waffen gegriffen haben? Wie angemessen ist das Wort „Verrat“, das zwar sehr oft in wissenschaftlichen Texten verwendet wird (und nicht wertfrei ist), wenn das Phänomen noch nicht richtig untersucht worden ist? Kollaboration ist ein sehr kompliziertes Thema - jeder Fall enthält viele Widersprüche und jeder muss sachlich-historisch untersucht werden.[9] Betrachtet man das Phänomen der sowjetischen Kollaboration, muss man die Quantität berücksichtigen, die der Qualität neue Akzente verleiht: In der Geschichte Russlands ist die Zahl derer, die den Besatzer während des Zweiten Weltkriegs unterstützt haben, präzedenzlos. Wie einer der wenigen Wissenschaftler, der sich mit dem Thema befasste, K.M. Alexandrow, feststellte, befanden sich laut verlässlicher Angaben im deutschen Militärdienst mindestens 1,1 Mio. Menschen, die zum Zeitpunkt des 22.Juni 1941 Bürger der Sowjetunion waren. Das sind 15% aller Mobilisierten in den deutschen Streitkräften zwischen 1941 und 1945. Die regulären Militärverbände, die auf ethnischer Basis formiert wurden, wurden Ostlegionen genannt.[10] Der Kalmückische Verband, von dem die Rede ist, obwohl er auch auf ethnischer Basis formiert wurde und zu den Ostlegionen zählte, wurde besonders behandelt: In den Wehrmachsunterlagen werden die Kriegskollaborateure folgendermaßen aufgezählt: Kosaken, Ostlegionen und Kalmückischer Verband. Die Besatzung der Kalmückischen Republik dauerte von August 1942 bis Anfang Januar 1943. Diese Zeit in der Geschichte Kalmückiens ist kaum untersucht: die sowjetische Geschichtsschreibung hat sich v.a. mit der Geschichte der Partisanenbewegung befasst. Dennoch untersuchten einzelne Wissenschaftler die Geschichte der Besatzung als Bestandteil der Problematik der Zwangsumsiedlungen ganzer Völker, die wie bekannt, offiziell als Strafe für Kollaboration mit dem Besatzer galten. Als erster ist hier A.M. Nekrič zu nennen, der seine Monografie "Bestrafte Völker" 1978 in New York veröffentlichte und unvoreingenommen die Ereignisse in dem Kapitel "Was geschah in der Kalmückischen Autonomen Republik"[11] beurteilen konnte. Mit dem Thema befasste sich auch M.L. Kičikow[12] - der mehrere Artikel; eine Monografie und eine Doktorarbeit zum Thema "Das sowjetische Kalmückien im Großen Vaterländischen Krieg 1941-1945" veröffentlicht hat. Der westliche Teil von Kalmückien wurde im Sommer 1942 durch die 6.Deutsche Armee besetzt. Im großen und ganzen versuchten die Besatzer die Unterstützung der Einheimischen zu gewinnen. Dafür wurden Gebetshäuser eröffnet (die buddhistischen Tempel waren zu der Zeit schon alle zerstört), und die Kalmücken wurden nicht als "minderwertige" Rasse verfolgt.[13] In der besetzten Hauptstadt Elista wurde die Kalmückische Verwaltung eingerichtet.[14] Den erreichten Status unter den Besatzern betrachteten die Kalmücken im Vergleich zum Sowjetischen Regime als Verbesserung.[15] Später erinnerte sich ein Zeitzeuge aus dem Bezirk Sarpin: "Als die Deutschen kamen, herrschte eine feierliche Stimmung, und die neue Ordnung wurde als Befreiung von der Sowjetmacht empfunden. Die Menschen glaubten, dass es mehr Freiheit geben wird als bei den Kommunisten. In unserem Dorf gab es etwa 170 Höfe. Etwa hundert Männer im besten Alter dienten bei der Roten Armee, viele von ihnen gerieten in die Grenztruppen an der westlichen Grenze und sind gefallen. Als die Deutschen abzogen, entschieden wir uns bis zum Frühling hinter den Don zurückzuziehen, kamen aber bis Zaporožje[16], und da sollten wir uns zur Arbeit in Deutschland melden. Als wir Ende Dezember ´43 gingen, dachten wir, dass wir nicht weit gehen würden, bloß bis hinter den Don und bloß bis zum Frühling bleiben würden. Daher nahmen wir kaum etwas mit - bloß burchans[17] und warme Bekleidung. Nicht alle konnten mitgehen. Das waren vor allem Männer und Jugendliche - etwa 20 Menschen."[18] Die Zeit der Besatzung wird als eine besondere Zeit in Erinnerungen behalten, als die Zeit, wo alles anders war und alte Regeln nicht galten. "Weißt du, in der Zeit der Besatzung haben die Hunde nicht gebellt. Denn alle Männer liefen mit Gewehren herum, und die Hunde haben Angst vor Gewehren, so bellten sie gar nicht."[19] Im Oktober 1942 besuchten Elista Š. Balinov und S. Baldanov, Mitglieder des Kalmückisches Nationalen Komitees, das von weißen Emigranten (Kalmücken) beim Ostministerium eingerichtet wurde. In seinem Bericht über die Reise schrieb Balinov an das Ostministerium: Was die Einstellung zur Sowjetmacht betrifft, teilen sich die Kalmücken in zwei ungleiche Gruppen: a. Ältere Generation, über 35jährige, die fast alle gegen die Bolschewisten sind. b. Die jüngere Generation empfindet gegenüber der Sowjetmacht keinen solchen Hass; manche sympathisieren sogar mit ihr. Diese Sympathie wird natürlich nicht öffentlich verkündet. Unter den Kalmücken gibt es selbstverständlich auch einige überzeugte, aktive Kommunisten. Sie sind mit der Sowjetmacht abgezogen und arbeiten dort.[20] Ich fragte, wie die Menschen in anderen Gebieten der Republik diese Zeit erlebten. Im folgenden eine andere Erzählung: "Wer hat mit dem deutschen Regime kollaboriert, nicht bloß die Menschen, die durch die Sowjetmacht beleidigt wurden? Sicher waren es auch solche. Aber das bedeutet nicht, dass nur solche Menschen die Kalmücken anführten, sondern die Menschen haben einfach jene in führende Positionen gewählt, die dafür befähigt waren".[21] Welches Ausmaß hatte der nationalsozialistische Terror im besetzten Kalmückien? Der deutsche Militärhistoriker Joachim Hoffman schreibt, dass in den sechs Monaten der Besatzung 2.000 sowjetische Bürger umgebracht wurden.[22] Im großen und ganzen waren die Besatzer der Meinung, sie seien gnädig zu den Einheimischen, denn oft wurden sogar gefangene Partisanen oder sowjetische Agenten begnadigt, deren Verwandten bei der Wehrmacht dienten und sich für die Gefangenen einsetzten.[23] Unter denen, die erst mit den Besatzern kollaborierten und deswegen die Republik verlassen mussten, waren auch solche, die schon von der Sowjetmacht repressiert und als "sozial -fremdes Element" eingestuft worden waren. Dabei handelte es sich um einst wohlhabende Menschen und deren Kinder, die zum Beispiel nicht studieren durften oder Vertreter des Klerus. Hier muss man anmerken, dass nicht nur die, die kollaborierten, den Deutschen gefolgt sind. Und nicht alle, die später nach Deutschland kamen, verließen bewaffnet ihre Heimat. Manche entschieden sich erst in der allerletzten Minute, beeinflusst von den Älteren oder sogar zufällig, sich den abziehenden deutschen Truppen anzuschließen. Es gab auch solche, die erst weggingen und sich dann zur "Mitarbeit" gezwungen sahen. Einen jungen geselligen Mann, Garja Mušajev, der auch deutsch sprach, bat ein älterer Verwandter dessen Familie bis zur nächsten größeren Stadt zu kutschieren, wo sich der Verband formierte.[24] So wurde Mušajev von seiner eigener Familie für den Rest seines Leben getrennt. In den besetzten Gebieten kursierten im Winter 1942/43 Gerüchte, die den Bewohnern Angst vor der näher rückenden Roten Armee einjagen sollten. Die Gerüchte wirkten dadurch so furchterregend, weil sie erzählten dass der Roten Armee auch chinesische Regimente folgen würden, die die kalmückische Bevölkerung massakrieren würden.[25] Offensichtlich wurden diese Gerüchte von Menschen in Umlauf gesetzt, die wussten, dass für Kalmücken wie auch für Mongolen Chinesen das Böse dieser Welt schlechthin symbolisierten. So waren unter den Flüchtlingen auch solche, die einfach versuchten ihr Leben zu retten. Wie viele Menschen haben im Winter 1943 die Republik verlassen? Die größte Zahl findet sich in den Unterlagen des Stabs von Tarasenko, der seit Juni 1943 die Flüchtlinge registrierte, die sich nach Westen begaben: Es sind bis zum Winter 1943 15.780 Menschen.[26] Diese Zahl gilt aber als übertrieben. Da bei der Registrierung der Flüchtlinge auch das Essen verteilt wurde, ist nicht auszuschließen, dass hungrige Menschen sich mehrmals registrieren ließen. Den Angaben des Ostministeriums zufolge befanden sich im Oktober 1944 6.000 Kalmücken in den Bataillonen, 500 als Ostarbeiter und 15.000 in Kriegsgefangenschaft.[27] Im Kalmückischen Verband gab es 125 Kommunisten. 4.000 Menschen wurden als Ostarbeiter gezwungen ihre Heimat zu verlassen.[28] In den Archiven des FSB zur Kalmückischen Republik befindet sich die Liste mit dem Personalbestand des Verbandes. Laut dieser Liste dienten bewaffnet im Verband 3.254 Personen und 800 Menschen, die in der sogenannten zivilen Gruppe gearbeitet haben - sie mussten Wäsche waschen, Kleider und Schuhe anfertigen und reparieren, sich um den Proviant kümmern und die Tiere pflegen. Meine älteren Kollegen, kalmückische Historiker, behaupten, dass diese 4.000 das eigentliche Personal des Verbandes darstellten und größere Zahlen nicht realistisch sind. Für sie wie auch für viele andere Bewohner der Republik ist diese Zahl sehr wichtig: sie soll eher nicht "bedeutend" sein. Nicht die Motivation für die Kollaboration, sondern die Zahl der Kollaborateure ist die wichtigste Frage für diese Generation von Wissenschaftlern. Deswegen empfahlen sie mir den Verband als "sogenannten Verband" zu bezeichnen. Ich erwiderte, dass sie sich selbst so genannt haben und bekam zur Antwort, dass ein Armeeverband drei Divisionen zählt und 30.000 Menschen umfasst - jemand würde sicher dieses Missverständnis aufgreifen und weiter verbreiten. "Vergiss nicht: Du bist eine Kalmückin, und das Volk wird dich verdammen, wenn du auf der Lüge beharrst." so warnte mich der Professor der Kalmückischen Staatlichen Universität, W.B. Ubušev. Ich habe diese Wörter so verstanden: 'Konzertiere dich bei deiner Forschung nicht nur auf die Verbrechen, und wenn es möglich ist, führe die kleineren Zahlen an, wenn es um den Verband geht.' In der Sowjetzeit, als die Informationen über den Verband unzugänglich waren, entstand eine andere Version: Der Verband sei bloß kalmückisch genannt worden, dort gab es aber nur 20% Kalmücken, so dass die Beschuldigung grundlos war und das Volk umsonst für die Sünden der anderen gelitten habe.[29] Die Erinnerungen an den Exodus sind in der Erinnerung der Bewohner der Republik noch lebendig. In der unten angeführten Erzählung fällt auf, dass die Informantin versucht dem Thema "Gewalt" auszuweichen und auf ihre Muttersprache zurückgreift um Missverständnisse in den Formulierungen zu vermeiden. "Der Kalmückische Verband - das ist natürlich eine Tragödie. Ende 1942 als unsere Truppen schon begannen, die von den Deutschen besetzten Gebiete zu befreien, zogen durch unseren westlichen Kreis Karawanen: Auf Pferden und Kamelen[30] - Männer, Frauen, Kinder - alle treten den Rückzug an, folgen den Deutschen. Sie blieben in den Dörfern stehen, haben Jugendliche angeworben. Viele fuhren mit. Wenn sie stehen blieben, feierten sie des abends. Es gab auch Agitation, ...wenn unsere Soldaten kommen, werden sie an die Mädchen...[31] Davor retteten die Mütter ihre Töchter und die Söhne vor der Armee, deswegen gab es unter den Verbandsmitgliedern so viele junge Menschen."[32] Auch eine Artistengruppe, die die 16.Panzerdivision als Konzertbrigade begleitete, landete in Deutschland. Geleitet wurde die Brigade von Zagan Ivanova. Künstler sind von der Macht abhängig. Im besetzten Elista traten sie vor den deutschen Truppen auf. Das war ihre Arbeit: Wie ein Arzt heilt, tanzt ein Artist und singt, und das Publikum kann verschieden sein. War es möglich die Auftritte zu verweigern? In der Kriegszeit wurde jede Verweigerung der Mitarbeit als feindliche Geste eingestuft. Wieder wurde die situative Wahl zu Gunsten der Stärkeren getroffen. Für das Nichterscheinen auf der Bühne konnte man erschossen werden, und jeder hatte auch Verwandte und Kinder, die man auch dadurch einem Risiko ausgesetzt hat. Zagan Ivanova hatte drei kleine Kinder. Als sie zur ersten Einladung nicht erschien, kam eine Streife mit Maschinengewehren und holte sie ab. Sie kehrte nie nach Hause zurück. Der Besatzer brauchte das kalmückische Ensemble, später sollten sie die Mitglieder des Verbandes amüsieren. Die Musiker waren daher gezwungen, den abziehenden Besatzern zu folgen. Zagan Ivanova versuchte zu fliehen, aber gefasst wurde. Man erzählte in Elista, sie sei erschossen worden.[33] Im Sommer 1944 organisierte der Vorsitzende des Kalmückischen Nationalen Komitees beim Ostministerium und politische Anführer der Kalmücken, S. Balinov, für das Ensemble eine Reise in die kalmückische Kolonie eines Pariser Vorortes. Auf den Fotos von dieser Reise sind junge glückliche Menschen zu sehen. Nach den Schrecken der Besatzungszeit zu Hause und der hektischen Flucht befanden sie sich in einer kalmückischen Enklave, wo es viele dankbare Zuschauer gab und wo ihre Kunst gefragt war. Im turbulenten Frühling-Sommer 1945 verlieren sich die Spuren der Artisten, allem Anschein nach sind sie bei der Repatriierung umgekommen. Der Ehemann von Zagan Ivanova wie auch der Großteil der Kalmücken[34] wurde 1944 von der Front abberufen und in das Lager Schiroklag geschickt. In seinem Gnadengesuch schrieb er, dass seine Frau von den Besatzern brutal erschossen wurde und er die Spur seiner Kinder verloren habe. Das wurde berücksichtigt, und er wurde nach §58 zu zehn Jahren Haft als Verwandter einer Heimatverräterin verurteilt, was als milde Strafe galt.[35] Unter denen, die mit dem Verband nach Deutschland geraten sind, befanden sich nicht nur die Opfer des Klassenkampfes. Zu dieser Zeit waren die "Kulaken" schon verbannt, der Klerus praktisch vernichtet; die Zahl derer, die die Repressionen überlebt hatten war klein und innerhalb des Verbandes unbedeutend. Dafür gab es dort viele gebildete Menschen, Vertreter der politischen Elite der Republik, die eine nicht gerade schlechte Karriere in der UdSSR machten. Was beeinflusste deren Wahl, sich dem Gegner in den Dienst zu stellen? Waren sie sich in ihren leitenden Positionen der schwierigen Lage des Volkes bewusst und von der Macht, die sie selber repräsentierten, enttäuscht? Oder war es die gleiche situative Reaktion, die sie einst bewegt hat in der sowjetischen Nomenklatur Karriere zu machen? Ein Teil der kalmückischen Kollaborateure wurde direkt aus den Kriegsgefangenenlagern in die Ostlegionen angeworben. Am Anfang wurden sie in die Nordkaukasischen Legionen geschickt, seit 1943 in die 1. und 2.Turkestanische Legion, und von da gerieten sie in den Kalmückischen Verband.[36] Wie Pavel Poljan schrieb: "Der Erfolg solcher Anwerbungen hing nur von einem Faktor ab - von der Intensität des Infernos, der in dem jeweiligen Lager herrschte." Die wahrscheinlichste Alternative der Kollaboration war der Tod. Von 5,7 Mio. sowjetischen Kriegsgefangenen sind 3,3 Mio. Menschen umgekommen.[37] Wie unmenschlich die Umstände in den deutschen Kriegsgefangenenlager waren verdeutlicht die Tatsache, dass mehrmals in den Lagern Fälle von Kannibalismus festgestellt wurden.[38] Betrachtet man die Frage der Anwerbung nicht ideologisch, sondern vom Blickpunkt persönlicher Interessen, so stellt man fest, dass "anerkannte Thesen in der Evolutionstheorie existieren, denen zufolge ein Individuum sein Verhalten kalkulieren muss und gegebenenfalls seine eigenen Interessen maximieren muss um sozialen Erfolg zu erreichen oder um einfach zu überleben."[39] Dementsprechend kann man sagen, dass eine Million der Kriegsgefangenen, die den Dienst in den Ostlegionen dem Hungertod vorgezogen haben, den artgerechten menschlichen Instinkten nach handelten. Es gab Kriegsgefangene, die in der Hoffnung in den Verband eintraten zur Roten Armee überlaufen zu können. Obwohl die Kalmücken im Vergleich zu den anderen Ostlegionären die treuesten Soldaten waren, wie Joachim Hoffman mehrmals angemerkt hat, gab es unter ihnen auch Überläufer. Handelte es sich dabei auch um eine situative Reaktion auf die veränderten Umstände? Manchen ist es sogar unter großem Risiko gelungen den Komsomolausweis aufzubewahren, denen sie später den Partisanen als Treuebeweis vorgezeigt haben. Die rechte Hand von Dr. Doll[40] war Eduard Batajev, der sich später als NKWD-Agent erwies und von diesem dafür ausgezeichnet wurde, dass er viermal die Frontlinien gewechselt hat und die Personalliste des Verbandes dem Geheimdienst vorlegen konnte. Als Batajev erfuhr, dass seine Familie während der Verbannung nach Sibirien umgekommen ist, beendete er seine Spionage für den NKWD. Nach Hause zurückzukehren war ihm nicht möglich, denn als Offizier des Kalmückischen Verbandes wurde er auch gezwungen öffentlich Zivilisten zu erschießen. Nach dem Krieg wurde er im Zuge der Repatriierung ausgeliefert und zu 25 Jahren Lagerhaft verurteilt.[41] Ebenso widersprüchlich sind die Angaben zum Gruppenkommandeur Abuschinov, der auf die Frage, wo denn die Gefangenen sind, die man verhören muss, sagte: "In den Kämpfen zwischen Kalmücken und Russen macht man schon seit 500 (!) Jahren keine Gefangenen."[42] Diese Bemerkung erweckt den Eindruck, dass Abušinov ein Gegner der Sowjets war. Eine andere Geschichte aber, die während eines Schauprozesse Ende der sechziger Jahre zufällig aufgetaucht ist, gibt ein anderes Bild von ihm. Eine Zeugin aus Zaporožje erzählte, dass Abušinov, der bei ihr einquartiert war, sie einmal gebeten hatte, einen Knopf an seine Uniform anzunähen. Die Frau hatte nur einen Rotarmistenknopf zur Hand und nähte ihn an seine Uniform. Abuschinov wurde wütend und sagte der Frau: "Passen Sie auf, ich bin nicht würdig sogar diesen einen Knopf zu tragen."[43] Also, wie schätzt man den Exodus von zehntausend Kalmücken - Soldaten des Verbandes, Ostarbeiter und Kriegsgefangene - ein? Er ist zum einen Resultat des Überlebenswillen in der äußerst schwierigen Kriegszeit und wurde andererseits durch die Angst vor dem Krieg, der Sowjetmacht, der Roten Armee und der Wehrmacht hervorgerufen. Die repressive Maschinerie in der UdSSR und die Schrecken des Krieges haben die Kollaboration mit den Besatzungstruppen gefördert und danach in der Sowjetunion zu bleiben kam einem Selbstmord gleich. Die Befreiung der Heimat als Motiv für die Kollaboration wurde unter den Offizieren des Verbandes erst nach Kriegsende herangezogen als man die Verwaltung in der amerikanischen Besatzungszone überzeugen wollte, dass die Repatriierung in die UdSSR den Tod bedeuten würde. Einfache Soldaten hingegen zogen es vor einfach zu schweigen, wenn die Rede auf die Motive für die Kollaboration und den daraus folgenden Exodus kam, weil es schwierig zu erklären ist, dass junge Menschen einfach leben wollen. [1] Emigracija i repratriacija v Rossii. Sostavitel' i glavnyj redaktor Bondarev A.A. 2001.S.64. [2] Aleksandrov K.M. Antistalinskij protest v period sowetsko-finljandskoj vojny 1939-1940 gg/Alexandrov K.M. Protiv Stalina. Sbornik statej i materialov. SPb.2003. S.8. [3] Čubarjan A.O. Diskussionnyje voprosy istorii vojny/ Vtoraja mirovaja vojna: aktual'nyje problemy. K 50-letiju pobedy. M. 1995. S.12. [4] Poljan P. Žertvy dvuh diktatur. Žizn', trud, uniženije i smert' sovetskih vojennoplennyh i ostarbeiterov na čužbine i na rodine. M.2002.S.76. [5] Ebenda, S.74. [6] Nekrič A.M. Nakazannyje narody. New York.1978. S. 8-9. [7] Moskalenko N. Batr-bogatyr'. Sowjetskaja Kalmykija. 16 marta 1968. S.4 [8] Prikaz po vojennomu komissariatu kalmyckoj ASSR ot 12.10.1942./V bojah za severnyj Kavkaz. Vospominanija voinov 110-j OKKD. Elista.1973. S.112. [9] Ich danke den Akademikern J.A.Poljakov für die Besprechung der wissenschaftlichen Zugänge zu diesen Problemen. Moskau, September 2003. [10] Poljan P., ebenda, S.104, S.108. [11] Nekrič A., ebenda S.64-80. [12] Kalmykija v Velikoj Otečestvennoj vojne 1941-1945. Dokumenty i materialy.Elista.1966.;Kičikov M.L. Vo imja pobedy nad fašizmom. Očerki istorii kalmyckoj ASSR v gody Velikoj otečestvennoj vojny. Elista. 1970. [13] Adelman F. Cultural Renewment. Dissertation in Anthropology. University of Pennsylvania. 1960. Manuscript. S.125. [14] Svobodnaja zemlja Nr. 17, 20.September 1942. [15] Hoffman, Joachim. Deutsche und Kalmücken 1942-1945, Freiburg. 1974, S.102. [16] Zaporožje befindet sich in der Ukraine. [17] Burchans - Attribute des buddhistischen Gottesdienstes. [18] Feldmaterialien der Autorin (FMA). Interview mit N. Adjanov, Howell, 1997. [19] FMA. Interview mit N. Adjanov, Howell, 1997. [20] Halmg, Nr.6, S.3. [21] FMA. Interview mit N. Adjanov, Howell 1997. [22] Hoffman, ebenda, S.102. [23] Hoffman, ebenda, S.105. [24] FMA. Interview mit A. Dolgin. Ludwigsfelde 2003. [25] FMA. Anonymer Informant, Elista 2003. [26] Lenivov A.K. Pod kazačjim znamenem v 1943-1945gg.München, 1970.- Zitiert nach: Aleksandrov K.M. Kazačestvo Rossii vo Vtoroj mirovoj vojne: K istorii sozdanija Kazačjego Stana (1942-1943)/Aleksandrov K.M. Protiv Stalina. Sbornik statej i materialov. Sankt Petersburg.2003. S.39. [27] Giljasov I. Na drugoj storone. (Kollaborazionisty bp povolžsko-priuralskih tatar v gody vtoroj mirovoj vojny). Kazan.1998. S.83. [28] Nekrič, ebenda, S.74 [29] FMA. Interview mit S.Selvin, Elista 2003. [30] Diese Kamele, von denen es 148 gab, werden oft in den Erinnerungen über die Flüchtlingslager in Linz (Österreich) erwähnt, wo sie getötet wurden. [31] Diesen Satz sagt sie auf kalmückisch. [32] FMA. Interview mit P. Alexejeva, Elista 2003. [33] FMA. Interview mit P. Alexejeva, Elista 2003. [34] Kak eto bylo.Ssylka kalmykov. Bd. 3. Elista. 1998. S.57. [35] Isvestija Kalmykii, Nr. 287 vom 16.12.03. [36] Archive FSB zur Republik Kalmückien. F. 9, op.52.,arh.Nr. 8, t.3., S.13 [37] Poljan P. Ebenda, S.110, 130. [38] Ebenda, S.228. [39] Tiškov V.A. Rekvije po etnosu. Issledovanija po socialno-kulturnoj antropologii. Moskau. 2003. S.119. [40] Ein deutscher Offizier - Gründer und Leiter des Kalmückischen Verbandes. [41] FMA, Interview mit Prof. W.B.Ubušajev, Elista, 10.10.2003. [42] Hoffman, ebenda, S.143. [43] FMA, anonymer Informant. Moskau 2003.